Einzelne Gedichte 1986-1995

November

Die hellen Tage sind vorbei,
aus farbenfrohem Lichterspiel
wird graues Einerlei.
Nebel macht Realität unwahr,
in seinen Schwaden versinkt,
was vorher klar.
Und mit der Sonne
scheint auch die Freude verschwunden,
statt ihrer hat triste Trostlosigkeit
auf den Gesichtern Platz gefunden.
Kälte nagt an der Wärme im Herzen,
schwer trommelt der Regen hernieder.
Man hofft, daß irgendwann wieder
vergehen diese seelischen Schmerzen.
Da! Plötzlich, ungeahnt,
ein Strahl der Sonne
einen Weg sich bahnt.
Und wie aus einer Trance erwacht
geschieht das Wunder: Einer lacht!
Die Freude, die noch eben
verloren schien, wird jetzt zurückgegeben.
Von kurzer Dauer ist dies Schauspiel nur,
und hinterläßt doch eine leuchtende Spur,
die den Menschen macht gewiß,
daß auch dieser November nicht für ewig ist.

1. Mai

Der Himmel --- grau,
wie die Häuserschluchten
meiner Seele.
Zerklüftetes Gestein,
leere Fensterhöhlen,
anonym.
Frühling soll es wieder werden ---
aber wo?
Verschlossene Menschen
mit verschlossenen Gesichtern.
Jeder für sich --- keiner für alle.
Keiner für mich?
Kundgebungen --- der Mensch
ist ein Herdentier.
Graue Masse grauer Mäuse.
Grau --- wie der Himmel.

Ich bin

Ich bin ein Pfau
--- und ein Spatz,
bin ganz erwachsen
--- und Hosenmatz.
Ich bin Vagabund
und Biedermeier.
Ich bin Revolution!
und Bourgeoisie.
Komm! Suche mich ---
ich find' mich nie!
Bin schwarze Nacht
und heller Tag,
bin immer so,
wie ich es mag.
Ich bin hart
--- doch auch zerbrechlich,
voll Energie!
--- doch oft auch schwächlich.
Es ist egal --- was ich auch bin
das leg' ich Dir zu Füßen hin!

Zwischendrin

Ich schenke Dir meine Gedanken.
Du findest sie
in Worten, geschrieben und gesagt.
Doch sei geduldig mit ihnen,
suchen sie doch verzweifelt
auszudrücken, was nicht
in Worte zu fassen ist!
Drum lausche und lese
behutsam
dort, wohin keines Wortes Macht
hinreicht:
Zwischen den Zeilen!

AufStand

Steht auf Verfolgte!
Erhebt Euch --- zieht durch die Straßen!
Nehmt Euch das Recht,
das Euch so lange verwehrt blieb!

Steht auf, Verfolgte!
Nicht länger bergen sollt Ihr Eure Gesichter
in zweifelhafter Schatten Dunkelheit!
Zu lange schon harret Ihr dieses Tages!

Steht auf, Verfolgte!
Reicht Euch die Hand ---
erhebt das Haupt!
Euer Wille sei Eure Kraft
zu erlangen, was Euch fehlte!

Freier Flug

Ich tauche ab,
in die Untiefen meines Inneren.
Lasse mich fallen,
schwebe, schaue,
sehe Bilder an mir vorüberziehen.
Sie erzählen von dem, was war
und von dem, was sein soll.
Träume, Wünsche, längst
verloren geglaubte Gefühle,
sie ziehen vorbei,
wie Blätter im Wind,
dessen Briese mich umweht,
mich trägt, soweit das Auge reicht.
Die Schwingen meiner Gedanken
verleihen mir die Kraft,
hinter mir zu lassen,
was mich am Boden hält,
abzuheben von der Welt.
Sanfte, klagende Geräusche
erzählen von verlorenem Glück.
Wärmende Strahlen der Erinnerung ---
und ein Weg ohne zurück.

Gebet

Herr, lehre mich verstehen,
die Menschen
mit ihren Eigenheiten.
Lehre mich verstehen
mich selbst
und die Tiefen meiner Seele,
blaue Lagunen,
ewige Brandung,
unerwartete Abgründe,
hell --- und dunkel.
So viel unerforschtes,
so viel rätselhaftes,
so viel neues.
Herr, lehre mich verstehen,
die Ränkespiele,
die kalten Kriege,
die falschen Gesichter,
die Fallen, die ich selbst mir stelle.
Herr, lehre mich verstehen!

Mauern

Ich renne,

laufe,

suche.

Suche ab die Weiten der Welt
im Inneren und Äußeren.
Suche, bis ich an Mauern stoße.
Große, schwere Mauern,
errichtet von vielen anderen ---
und von mir.
Manche sehe ich an --- sie fallen.
Andere widerstehen nicht
dem Drang nach draußen.
Doch einige lasse ich stehen,
denke, daß es so sein muß,
halte sie für zu stark,
habe Angst vor dem,
was dahinter kommen mag.
So stehen sie still
und ragen bedrohlich in die Welt,
die sie beschränken.
Bis plötzlich ein Mensch kommt,
der meinen Blick auf diese Mauern lenkt.
Unmöglich, sie noch zu übersehen,
schwarz, schwer, überragend,
ausgrenzend, was dahinter liegt.
Und ich stehe zweifelnd davor,
und langsam, ganz langsam
fällt mein Blick
auf meine Hand.
Sie hält eine Stange Dynamit...

Eiszeit

Vorwärts ging der Weg,
langsam,
tippelnd,
sichernd,
schliddernd.
Weit hinaus
auf das Eis ---
dem unbekannten Ziel entgegen.
Doch nun die Zweifel.
Gibt es das Ziel?
Stimmt der Weg?
Bewege ich mich richtig?
Da sind Stimmen ---
sie rufen und schreien,
mich zurückzuholen
ans --- scheinbar --- so sichere Ufer.
Und da ist die Neugier,
der Wille,
die Kraft,
wie ein unsichtbares Band,
stetig ziehend.
Es ist egal, in welche Richtung
ich meine Schritte nun lenke.
Mitten auf dem Eis
gibt es keine Richtung
die mehr Sicherheit verspräche,
denn jede andere.
Warum also nicht
weiter vorwärts?

Mit Worten malen

Worte wie Farben,
Sätze wie Formen.
Beschreibend die Realität
meiner Traumwelt.
Gefühle in Sprache zu zwängen,
für die kein Bild existiert.
Ausfüllend den Zwischenraum
der gewichtigen Zeilen.
Ich nehme die Worte
und male meine Welt,
einschränkend und
befreiend zugleich.
Ein Pinselstrich wird zum Satz,
den die wirbelnde Feder
dem Papiere anvertraut,
zu zeigen, was doch verborgen bleibt.

Entfernte Traurigkeit

Ein Mensch geht,
er hinterläßt
ein Loch.
Was bleibt?
Entfernte Traurigkeit.

Eine Sache,
die wichtig schien,
erreicht niemals ihr Ziel
und scheitert.
Was bleibt?
Entfernte Traurigkeit.

Ein Freund in fernen Landen
schreit ob seiner Probleme,
doch der Wunsch nach Hilfe
überbrückt nicht
die Weite.
Was bleibt?
Entfernte Traurigkeit.

Unnahbar droht die Festung
um meine Seele.
Du findest nicht den Weg
sie zu sprengen
und wendest Dich ab.
Was bleibt?
Entfernte Traurigkeit.

Silvester

Die Böller sind
wie Schüsse
auf eine längst sturmreife Festung,
in der ich mich verbarg.
Die weiße Fahne
ist längst gehißt ---
und dennoch.
Zweifelnd stehe ich vor dem Tor.
Noch fehlt der Glaube
an den Sieg,
den ich errang,
noch wage ich nicht,
die Mauern zu schleifen,
zu sprengen das fesselnde
Gestein.
Zögernd gehe ich vorwärts ---
auf mich zu.

Weltenwanderer

Will sehen
beide Seiten
jeder Münze.
Nicht zufriedengeben
mit der einen Ansicht,
die so vielen das
A und O
ihrer kleinen Welt.
Will nicht nur die eine,
will viele Welten sehen,
verknüpfen, was unvereinbar,
vereinen die Gegensätze,
überwinden die Klüfte
in mir.
NetWork - (c) by Kate Meyer
NetWork - © by Kate Meyer

Vergangenheit in Kisten

Vergangenheit in Kisten ---
fertig zum Abtransport
in eine unbekannte Zukunft.
Zeitbomben in Kartons,
leise tickend.
Sondermüll
der Seele,
auf keiner Deponie zu entsorgen.
Kraftwerke ---
reproduzierend die Energie
vergang'ner Tage,
neu zu laden
die leeren Speicher.
Vergangenheit in Kisten.

Eingesperrt

So sehe denn durch die Fenster
Deiner Augen,
kleines Kind.
Die Sehnsucht spricht
von weiten Welten.
Vielfalt.
Das Trommeln Deiner
Hände
an die Wände
dieses Kerkers
scheint vergeblich.
Ungehört verhallen
Schreie
Deiner gequälten Seele,
in Watte gepackt
von unendlichem Zweifel
und
markerschütternder Vernunft.
Doch weiches Wasser
bricht den Stein,
der Kampf wird nie vorüber sein,
bis versiegt ist
der Strom
Deiner Tränen.

Mit Dir schweigen / Freundschaft II

Mit Dir reden,
mit Dir schweigen.
Worte als unbeholf'ne Krücken
der Gefühle.
Stille, um sie zuzulassen.
Offenheit genießen ---
und fürchten.
Doch niemals leugnen
will ich.
Denn ich sehe Dir in die Augen,
wissend, daß die Momente des Versteckens
gezählt sind,
wissend, daß meine Augen niemals
Bestand haben werden
mit Lügen
vor Dir.
Niemals will ich schließen
die Tür
zwischen Dir und mir,
doch immer, wenn es sein
muß.
Nähe und Ferne,
und beides zu Recht.
Umschiffen die Klippen
der
goldenen Käfige...
Mit Dir reden,
mit Dir schweigen ---
und doch Gefühle zeigen.

Ruine

Stahlgiganten --- eingefallen.
Ihr leuchtendes Rostbraun
trotzig gegen den
strahlendblauen Himmel
gestreckt.
Leere Fensterhöhlen
in schmutziger Ziegelwand,
kündend
von besseren Zeiten.
In den leeren Hallen
ölige Pfützen,
grauer Beton ---
vom Wetter gegerbt.
Tot --- doch nicht am Ende.
Zartes Grün
lugt aus den Rissen,
altes Gemäuer
als neue Herberge
für die Natur,
die in Besitz nimmt
was ihr immer gehörte.

Musik

Treiben lassen --- auf Noten.
Töne, die tragen,
wärmen, nähren
die Fantasie,
die unersättliche.
Gefühle --- spürbar gemacht,
verzaubernd,
doch auch treibend.
Energie ---
pur --- direkt ---
mitreißend.
Zum Abheben...

Heimat

Der feine Riß
zwischen hier und dort
zwischen heute und gestern
ist nicht zu sehen
denn für das Herz.
Die Welten trennt
die tiefe Kluft,
die nicht
zu überbrücken ist
mit beiden Beinen
--- und doch
auf Armeslänge
Nähe bringt.

Lawine

Ein
Steinchen
war es nur,
zur richtigen Zeit,
an der richtigen Stelle,
das die große Lawine auslöste
der Ereignisse, die so vieles mitreißen...

Schmetterling

Flieg, kleiner Falter, flieg!
Von Blüte zu Blüte,
den süßen Nektar
des Lebens
schlürfend.
Flieg --- ohne Ziel,
ein Windstoß nur,
in eine andere Welt.
Doch auch hier
gibt es Blumen...

Spiel

Spiel Dein Spiel
mit mir
dem Verspielten,
der allzuoft
verspielt hat
die Chance
der Liebe...

Memory Lane

Take a trip
down Memory Lane.
Get a grip
on forgotten pain.

Take a look ---
and everything's there.
This trip you book
will take you everywhere.

Just sit and watch
this ancient flow
and feel the touch
of come and go.

Future is,
what lies ahead,
Past becomes,
what leaves the shed.

But be aware!
Don't let it rebound!
If you don't care
it might be the other way round...!

Deutschland

Deutschland --- mein Traum.
Ich sehe Dich ---
aus der Ferne
mit neuen Augen.
Schätze nun,
was so selbstverständlich ---
und beginne zu hassen!

Haß ---
gegen die Verräter in Nadelstreifen,
die D-Mark suchen
statt Menschlichkeit,

gegen die Ewiggestrigen,
die den Traum
mit Nagelstiefeln treten,

gegen die Mörder,
die Geld verdienen
mit dem Tod,

gegen die Kleinbürger,
die lieber das Land groß sehen,
als ihr eigenes Herz.

Doch Deutschland, alte Liebe ---
ich gebe Dich nicht auf,
ich kämpfe ---
doch wie lange noch?

Fare Well

Go now.
Leave the past.
Don't look back,
neither
in sadness,
nor
in anger.
Keep
the joy,
keep
the laughter,
keep
the friendship
and
keep
your eyes open
for what will be.



Neues aus Verbaros

01.01.1970
Kategorie: Verbaros
Erstellt von: admin

Nach nur fast genau neun Jahren mal wieder etwas neues – Verbaros ist um vier Gedichte aus den Jahren 2016/2017 reicher:

01.01.1970
Kategorie: Verbaros
Erstellt von: admin

Seit langer, langer Zeit habe ich ein paar neue Gedichte in Verbaros hinzugefügt:

Alle fünf stammen aus den Jahren 2000-2012.

01.01.1970
Kategorie: Verbaros
Erstellt von: admin
Nachdem ich die "Einzelnen Gedichte" bisher in einer "intuitiven" Reihenfolge präsentiert habe, habe ich jetzt beschlossen, sie doch lieber in einer chronologischen Reihenfolge aufzuführen. Während des Neusortierens habe ich dann auch gleich die eine, sehr lange Seite aufgeteilt in Einzelne Gedichte 1986-1995Einzelne Gedichte 1996-1999 und Einzelne Gedichte 2000-heute. Letztere ist noch ein wenig kurz, aber ich habe neulich einige Gedichte aus den 2000ern wiederentdeckt – es kommt also noch mehr…